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EARTH ELEKTRA

[Earth Elektra Trailer]

[Earth Elektra – Fuge, Lamento, Tanz, Meditation und Finale]

„Wenn die Materie ewig war, musste sie auch ewige Eigenschaften besitzen, wie Gestalt, Trägheit, Bewegung und Teilbarkeit. Diese Teilbarkeit aber ist nur eine Folge der Bewegung, denn ohne Bewegung lässt sich nichts teilen, trennen oder ordnen. Man betrachtet also die Bewegung als zum Wesen der Materie gehörig.“

Dieses Zitat von Voltaire aus dem Jahr 1794 komprimiert und destilliert, um was es im multimedialen Projekt EARTH ELEKTRA des Künstlers Frank Oehlmann geht, das als Pentalogie die Parts FUGE, LAMENTO, TANZ, MEDITATION und FINALE umfasst: Materie, die in Bewegung ist. Mal luftig leicht wie Wolken, Nebel, Wellen und Wasser. Mal Himmelskörper und Planeten, die im ewigen Kreislauf ihre geordneten Bahnen ziehen. Dann Menschen, die (sich) bewegen und in Bewegung setzen – ihre Körper, sich und andere. Und anderes: Material. Materie. Und dem Wesen der Materie immanent ist Bewegung.

[Earth Elektra – Fuge (excerpt)]

1. FUGE
Im ersten Teil des Fünfteilers FUGE wird der Zuhörer / Zuschauer entführt in eine auditiv-akustische Meditation – in eine Komposition auf dem Grundton Cis (Erdenton (Jahreston) 432,1 Hertz, 127,6 bpm) mit Elementen aus dem 1. Satz (Fuge) des 14. Streichquartetts in cis-moll von Ludwig van Beethoven. Die in dem Stück vorhandenen isochronischen Töne und binauralen Beats (Alpha und Theta Wellen) elektrisieren und erden zugleich – EARTH ELEKTRA zieht uns in ihren Bann und mitten hinein.

[Earth Elektra – Lamento (excerpt)]

2. LAMENTO
Lamento erzählt die Geschichte eines verlassenen Schulgebäudes im Nationalpark Tara (Serbien). Bei einer zufälligen Entdeckung dieses abgeschlossenen Gebäudes betrat Oehlmann unerlaubt die Schule und dokumentierte die Szenerie. Die Räume schienen hastig verlassen worden zu sein, als ob die Schüler und Lehrer plötzlich geflüchtet wären, ohne dass der Grund hierfür ersichtlich wäre. Die visuelle Erzählung ist geprägt von einer Atmosphäre des Verlassenseins und der Vergänglichkeit. Die stillen, fast unheimlichen Räume erzählen Geschichten von Leben, Lernen und plötzlicher Unterbrechung. Die Bilder fangen die erstarrte Zeit ein, während die musikalische Komposition eine schroff dissonante und zugleich elektrisierende Stimmung beim Zuhörer erzeugt. „Earth Elektra Lamento“ geht über die bloße Dokumentation hinaus und verwandelt die Leere der verlassenen Schule in eine Reflexion über die Zerbrechlichkeit menschlicher Strukturen und die Unvorhersehbarkeit des Lebens. Der Film wird zu einer stillen Klage über das Vergangene, das plötzlich aus dem Alltag gerissen wurde, und lädt den Betrachter ein, über das Vergängliche im Leben nachzudenken. Die Musik beruht auf dem Grundton F (Platonisches Jahr 172,06 Hz, 80,6 bpm).

[Earth Elektra – Tanz (excerpt)]

3. TANZ
Der Langsamkeit, ja fast schon Trägheit der ersten, 8-minütigen Komposition und der Schroffheit und Dissonanz des 2. Teils steht kontrastiv der dritte Part gegenüber: in TANZ trifft die Entdeckung der Langsamkeit auf das geordnete Chaos von Geschwindigkeit und wird zu einem Rausch: Ein Karussell verdreht uns den Kopf und sich im immer gesteigerteren Kreis. Wir sehen Bagger, die ihr Ballett tanzen und Lastwagen im (Kreis-) Lauf gegen die Berge des Materials; Gleisarbeiter im gleißenden Licht der Scheinwerfer; Astronauten – überirdisch schweben sie im extraterrestrischen Licht. Licht, das sich in Tönen bricht. Pulsierende Musik, in der Bewegung des Lichts sich spiegelnd. Die Kompositionen von Musik und Video verschmelzen zu einer Symphonie aus Raum und Zeit, in Klang und Bewegung, durch überirdische Sphären und gänzlich irdische Kontexte.

[Earth Elektra – Meditation (excerpt)]

4. MEDITATION
Meditation fängt eine Tai Chi-Performance des Künstlers Berthold Welter ein. Gedreht am Rhein bei Urdenbach nahe Leverkusen, setzt sich der Film mit der Idee der Meditation und Langsamkeit auseinander. Drei Durchgänge der Performance wurden an verschiedenen Orten entlang des Rheinufers aufgenommen. Oehlmann versuchte dabei, die meditativen Bewegungen von Welter mit den Bewegungen der Kamera nachzuvollziehen, wodurch eine harmonische Verschmelzung von Körper und Bild entstand. Diese Herangehensweise verleiht dem Film eine fließende, fast tranceartige Qualität, in der die Grenzen zwischen Performer und Umgebung verschwimmen. Im Schnitt wurden die drei Aufnahmen zu einem einzigen Clip zusammengefügt, der die Essenz der Tai Chi-Bewegungen in verschiedenen Perspektiven und Umgebungen verdichtet. Unterlegt ist der Film mit einer Komposition, die auf dem Ton G des Erdentages (194,18 Hz, 91,0 bpm) basiert – einer Frequenz, die für ihre stark erdende Wirkung bekannt ist und die meditative Tiefe der visuellen Darstellung zusätzlich verstärkt. „Earth Elektra Meditation“ lädt den Betrachter dazu ein, in die Welt der Langsamkeit und Achtsamkeit einzutauchen, unterstütz durch die sanften, rhythmischen Bewegungen der Kamera  – eine filmische Meditation über die Verbindung von Mensch, Natur und Bewegung, die Ruhe und Reflexion in den Vordergrund stellt.

[Earth Elektra – Finale (excerpt)]

5. FINALE
Die Steigerung der Geschwindigkeit und Bewegung findet ihren Höhepunkt im FINALE, einem ton- und bildgewaltigen visuellen Konzert: Wir sehen die Welt von oben, mit Blick aus dem Weltall auf die Erde – eine Erde, die wir in die Zange genommen haben. Eisberge brechen, Gletscher schmelzen, Wälder brennen, Risse entstehen. Mal unterstreichen sphärische Soundteppiche Flugaufnahmen über weite Ebenen. Mal kontrastiert der pulsierende, immer schneller werdende Rhythmus des Sounds die kalleidoskopartigen Video-Collagen – Collagen, in denen man den Künstler selbst sieht, an den Drums, an den Synthesizern, immer in Bewegung. Und den Zuhörer und Zuschauer bewegen vielleicht die Fragen: Wer bin ich, wer sind wir in der Welt? Haben wir uns zum Mittelpunkt der Erde gemacht? Den langen, ruhigen Fluss der Zeit gestört, zerstört? Was bleibt am Ende? Wir? Die Welt? Das Weltall? Am Ende sehen wir einen Fluglotsen auf einem Rollfeld in Grönland: Er winkt das Flugzeug ein, an die richtige Position. Er winkt, doch fast sieht es so aus, als rufe er nach Hilfe. Die Hände gehen wie in einem Gebet zum Himmel – oder stoppt er einfach nur das Flugzeug? Oder die Menschen? Sich? Dich? Mich?

Das FINALE gibt keine Antwort, lässt einen aber elektrisiert zurück: EARTH ELEKTRA – FUGE, LAMENTO, TANZ, MEDITATION und FINALE macht erlebbar – sicht- und hörbar – was der Dalai Lama einmal sagte: „Das Universum, in dem wir leben, ist wie ein lebendiger Organismus.“ Ein Organismus, der lebt und in dem wir leben – vielleicht nicht ewig, aber hoffentlich noch lange genug, um zum Beispiel Zeit zu haben, sich auf dieses künstlerische Sehwerk einzulassen, das auf die Kraft und Poesie der Bilder und der Klänge setzt.

Video und Musik Frank Oehlmann (2018-2024, ca. 74 min)

Text: Ingrid Schindler, Frank Oehlmann

[Earth Elektra – die Musik zum Film] – Bandcamp und Spotify